Fellow-Klasse 2018-2019 Prof. Dr. Jonas Grethlein
Arbeitsvorhaben am Marsilius-Kolleg
Antike Literaturkritik und moderne Kognitionswissenschaft
Das vorgeschlagene Projekt wagt einen Brückenschlag zwischen der Klassischen Philologie und der Psychologie sowie Neurowissenschaft: ‚Antike Literaturkritik und moderne Kognitionswissenschaft‘. Griechische und lateinische Autoren beschreiben eingehend die starken emotionalen und oft auch körperlichen Reaktionen, die Literatur bei Zuhörern und Lesern auslöst. Ihre Beobachtungen sind von Philologen bislang vor allem mit Befremden wahrgenommen worden; sie lassen sich – so meine These – neu verstehen vor dem Hintergrund kognitionswissenschaftlicher Modelle. Ansätze zur verkörperten (embodied) und handlungsbezogenen (enactive) Natur unserer Wahrnehmung und Vorstellung helfen uns zum Beispiel, die Behauptungen antiker Autoren zu verstehen, bestimmte Beschreibungen von Handlungen ‚verliehen‘ den Rezipienten ‚Flügel‘ und katapultierten sie an den Ort des Geschehens (Grethlein/Huitink, Journal of Hellenic Studies 137/2017).
Aber nicht nur die Klassische Philologie kann von diesem Dialog profitieren. Durch ihre experimentelle Grundlage ist die Kognitionswissenschaft gegenwartsbezogen. Die Reaktionen früherer Menschen Leser können natürlich nicht zum Gegenstand ‚weicher‘ psychologischer oder ‚harter‘ neurophysiologischer Untersuchungen werden. Zugleich ist die Antike reich an rezeptionsästhetischen Kommentaren: Wir finden sie nicht nur bei den bekannten Autoren wie Platon, Aristoteles und Longinus, sondern auch in unscheinbaren Schriften aus der Kaiserzeit, den Scholien und nicht zuletzt der Literatur selbst. Ein eingehender Vergleich dieses Materials mit kognitionswissenschaftlichen Ergebnissen bereichert die Kognitionswissenschaft um eine historische Perspektive.
FORSCHUNGSGEBIETE
- Antike Literatur
- Rezeption antiker Literatur
- Erzähltheorie
- Geschichtstheorie
Lebenslauf
- 2012 Chair in Classics, St Andrews (abgelehnt)
- 2008 Professur für Griechische Literaturwissenschaft, Heidelberg
- 2007 Assistant Professor, University of California, Santa Barbara (ab 2008 full professor mit tenure)
- 2005 Albert-Ludwigs-Universität Freiburg: Habilitation (doppelte venia legendi für Klassische Philologie und Alte Geschichte)
- 2003 Emmy-Noether Stipendium (Deutsche Forschungsgemeinschaft)
- 2003 Postdoktorand SFB Identitäten/ Alteritäten (Freiburg)
- 2003 Summer Associate bei McKinsey&Comp., Inc.
- 2000-2002 Grundständige Promotion Albert-Ludwigs-Universität Freiburg: Griechische Philologie, Lateinische Philologie, Alte Geschichte (Dr. phil. 2002: summa cum laude)
- 1999-2000 Studium University of Oxford (Trinity College), England: Classics, History
- 1997-1999 Studium Georg-August-Universität Göttingen: Alte Geschichte, Mittelalterliche und Neue Geschichte, Lateinische Philologie, Griechische Philologie
Ausgewählte Publikationen
Table
Aesthetic Experiences and Classical Antiquity. The Content of Form in Narratives and Pictures. Cambridge 2017. |
Die Odyssee. Homer und die Kunst des Erzählens. München 2017 (Übersetzung ins Englische für Princeton UP in Vorbereitung). |
Experience and Teleology in Ancient Historiography. Futures Past from Herodotus to Augustine. Cambridge 2013. |
The Greeks and their Past. Poetry, Oratory and History in the Fifth-Century BCE. Cambridge 2010. |
"Die Antike - das 'nächste Fremde'?" Merkur 824, 1/2018. |
„Homer’s vividness. An enactive approach.“ Journal of Hellenic Studies 137, 2017: 67-91 (mit Luuk Huitink). |
„Aesthetic experiences, ancient and modern.“ New Literary History 46/2, 2015: 309-333. |
„Is narrative 'The description of fictional mental functioning'? Heliodorus against Palmer, Zunshine, & Co.“ Style 49/3, 2015: 259-283. |
„Von Platon zu Avatar.“ Sinn und Form 65/ 3, 2013: 351-361. |
„Myth, morals, and metafiction in Jonathan Littel's Les Bienveillantes.“ PMLA 127/ 1, 2012: 77-93. |
KONTAKT
Prof. Dr. jonas grethlein
Seminar für Klassische Philologie
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
E-Mail: jonas.grethlein@skph.uni-heidelberg.de