Fellow-Klasse 2011/12 Prof. Dr. Stefan Weinfurter †
Arbeitsvorhaben am Marsilius-Kolleg
"Eindeutigkeit" als gestaltende Kraft im Mittelalter
"Eindeutigkeit" ist ein Begriff, der in der Geschichtswissenschaft (im Unterschied zu anderen Wissenschaften) noch nicht eingeführt ist. Dennoch bin ich der Meinung, dass er für die Erklärung historischer Prozesse überaus aufschlussreich sein kann. Mit Blick auf das Mittelalter wird deutlich, dass in bestimmten Epochen die Forderung nach "Eindeutigkeit" und ihre Durchsetzung der Motor für umwälzende Veränderungen in der gesamten gesellschaftlichen und kulturellen Ordnung darstellte. "Eindeutigkeit" bildete ein wesentliches Element im Rahmen der dynamischen Veränderungen von "Ordnungskonfigurationen". Besondere Kraft erlangte es in der Zeit Karls des Großen, als Begrifflichkeit, Texte und Schrift mit enormem Aufwand und gezielter Steuerung "vereindeutlicht" wurden. Einem zweiten Knotenpunkt der "Vereindeutigung" begegnen wir in der Epoche der Kirchenreform und der ihr folgenden Jahrzehnte. Hier spielte die Eindeutigkeit der religiös-moralischen Werteordnung eine entscheidende Rolle für die Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnismethoden und verbindlicher Rechtsnormen. Wie kommt es zu diesen Phasen? Wie entsteht dabei Deutungshoheit? Welche Medien und Strategien werden für die Durchsetzung entwickelt und eingesetzt? Durch die Kooperation mit anderen Wissenschaftskulturen, vor allem den naturwissenschaftlich-mathematischen und sozialwissenschaftlichen Diskursen, erhoffe ich mir weiterführende Impulse.
FORSCHUNGSGEBIETE
- Geschichte Europas und ihrer Kulturen im Mittelalter
- Politische, religiöse und soziale Konfigurationen ("Ordnungskonfigurationen") in Theorie und historischen Prozessen
- Symbolische Kommunikation und Rituale in Politik, Religion und Gesellschaft
- Konzeptionen und Darstellungsformen (Repräsentation) von Macht und Herrschaft
- Klöster des Hochmittelalters als Innovationslabore der Moderne
Lebenslauf
- 1967-1973 Studium München und Köln
- 1973 Promotion Köln
- 1980 Habilitation Köln (Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften)
- 1982-1999 Professuren an den Universitäten Eichstätt (1982), Mainz (1987), München (1994)
(Ruf 1993 nach Köln abgelehnt) - seit 1999 Professur für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Heidelberg und Direktor des Instituts für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde
- 1985-1987 Dekan und Mitglied des Senats in Eichstätt
- 1996-2004 Mitglied im Ausschuss/Vorstand des Verbandes der Historiker Deutschlands (1996 Organisation des Deutschen Historikertags in München)
- 1998/1999 Studiendekan in München
- seit 1998 Mitglied des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte (2001-2007 Vorsitzender)
- 2000-2008 Fachgutachter der DFG (Geschichte, 2004-2008 Stellv. Vorsitzender)
- seit 2000 Mitglied der Kommission für Geschichtliche Landeskunde von Baden-Württemberg (Vorstand)
- seit 2003 Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
- seit 2003 Wissenschaftlicher Beirat des Deutschen Historischen Instituts Rom (seit 2008 Vorsitzender)
- 2004-2006 Dekan und Mitglied des Senats in Heidelberg
- seit 2007 Hochschulrat der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
- seit 2009 Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission der Union der deutschen Akademien
Ausgewählte Publikationen
Table
Canossa. Die Entzauberung der Welt, 1. u. 2. Auflage München 2006, 3. Auflage 2007. |
Ordnungskongurationen im Konflikt. Das Beispiel Kaiser Heinrichs III., in: Mediaevalia Augiensia. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters. Vorgelegt von Mitgliedern des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte, hg. von Jürgen Petersohn (Vorträge und Forschungen 54), Stuttgart 2001, S. 79-100. |
Gelebte Ordnung - Gedachte Ordnung. Ausgewählte Beiträge zu König, Kirche und Reich. Aus Anlass des 60. Geburtstages herausgegeben von Helmuth Kluger, Hubertus Seibert und Werner Bomm, Ostfildern 2005. |
Das Reich im Mittelalter. Kleine deutsche Geschichte von 500 bis 1500, München 2008. |
Ordnungskongurationen im hohen Mittelalter, hg. zusammen mit Bernd Schneidmüller (Vorträge und Forschungen 64), Ostfildern 2006. |
Authority and Legitimation of Royal Policy and Action: The Case of Henry II, in: Medieval Concepts of the Past: Ritual, Memory, Historiography, ed. by Gerd Althoff, Johannes Fried, Patrick J. Geary (Publications of the German Historical Institute, Washington), Cambridge/Washington 2002, S. 19-37. |
Investitur und Gnade. Überlegungen zur gratialen Herrschaftsordnung im Mittelalter, in: Investitur- und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, hg. von Marion Steinicke/Stefan Weinfurter, Köln/Wien/Weimar 2005, S. 105-123. |
Heinrich II. (1002-1024). Herrscher am Ende der Zeiten, Regensburg 1999, 3. Auflage 2002. |
Lehnswesen, Treueid und Vertrauen. Grundlagen der neuen Ordnung im hohen Mittelalter, in: Das Lehnswesen im Hochmittelalter. Forschungskonstrukte - Quellenbefunde - Deutungsrelevanz, hg. von Jürgen Dendorfer/Roman Deutinger (Mittelalter-Forschungen 34), Ostfildern 2010, S. 443-462. |
Der Papst weint. Argument und rituelle Emotion von Innocenz III. bis Innocenz IV., in: Spielregeln der Mächtigen. Mittelalterliche Politik zwischen Gewohnheit und Konvention, hg. von Claudia Garnier/Hermann Kamp, Darmstadt 2010, S. 121-132. |
KONTAKT
Prof. Dr. stefan weinfurter
Historisches Seminar
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg