Fellow-Klasse 2023/24 Prof. Dr. Joachim Kurtz
Arbeitsvorhaben am Marsilius-Kolleg
Die Kunst der Täuschung: Kooperation, Persuasion, Manipulation
Die Kunst der Täuschung hat eine lange, globale Geschichte. Unser Projekt nähert sich diesem allgegenwärtigen Phänomen aus einer Perspektive, die psychologische Aspekte mit philologischen und historischen Ansätzen verbindet. Wir begreifen Täuschung dabei als eine Grundform sozialer Kooperation. Soziale Kooperation wird oft als eine Voraussetzung für beiderseitig vorteilhafte Interaktion angesehen, das heißt für ein Zusammenwirken zweier oder mehrerer Akteure oder Gruppen zum Erreichen gemeinsamer Ziele. Genau dies machen sich Täuscher zunutze. Ihnen ist bewusst, dass Kooperationsbereitschaft auch durch Täuschung, Manipulation und Strategien des make believe erzeugt werden kann, insbesondere dann, wenn sich die Interaktanten in asymmetrischen Konstellationen begegnen. Unser Interesse gilt der vergleichenden Analyse solcher Täuschungs-konstellationen. Wir untersuchen den Zusammenhang von Kooperation, Persuasion und Manipulation dazu in Situationen, in denen Akteure ihre Kooperationspartner entweder bewusst täuschen oder sich selbst gegen Einflussnahme und Irreführung zur Wehr zu setzen versuchen. Ziel unseres Vorhabens ist es, ein präziseres Verständnis von den historischen und psychologischen Gegebenheiten zu gewinnen, aus denen heraus Wissens-ansprüche mit Überzeugungskraft vertreten und zur Anknüpfung einseitig profitabler Kooperationsbeziehungen instrumentalisiert werden können. Im germanistischen Teilprojekt steht die Analyse typisierter Szenen aus dem politischen Theater der 1920er bis 1940er Jahre im Zentrum, mit denen Dramatiker auf Täuschung basierende Kooperationskonstellationen darstellen, um entweder selbst propagandistische oder gegenpropagandistische Botschaften zu verfolgen oder aber über politische Manipulationsstrategien aufzuklären. Das psychologisch/neurowissenschaftliche Teilprojekt versucht diese Thematik in experimentelle Situationen zu übersetzen, anhand derer Verhaltensstrategien sowie deren neuronalen Korrelate untersucht werden können. Dabei sind die Prozesse des (übermäßigen) „Mentalisierens“ (auch als „Theorie des Geistes“ bezeichnet) sowie des (übermäßigen) „Vermeidens“ bei Personen mit und ohne Persönlichkeitsstörungen ein besonderer Fokus. Das sinologische Teilprojekt untersucht diese Thematik am Beispiel von Strategien, die Quacksalber und Winkeladvokaten im China des 17.-19. Jahrhunderts entwickelten, um vermeintlich leichtgläubige Opfer und notorisch misstrauische Autoritäten zu täuschen.
FORSCHUNGSGEBIETE
- Sinologie und Wissensgeschichte, insbesondere kulturelle Austauschprozesse zwischen China, Japan und Europa seit der frühen Neuzeit
- Besondere Schwerpunkte: Praktiken der Argumentation, Logik, Philosophie, politischer Theorie, historischer Semantik, Übersetzungs- und Buchgeschichte
Lebenslauf
- Studium der Sinologie, Philosophie und politische Wissenschaften in Hamburg, Beijing, Berlin (MA 1997), Shanghai und Erlangen (Dr. phil. 2003)
- Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent in Göttingen und Erlangen
- Assistant bzw. Associate Professor of Chinese an der Emory University in Atlanta
- Professor für Wissensgeschichte und Sinologie in Heidelberg (2009)
- Co-PI des Exzellenzclusters Asien und Europa im Globalen Kontext (2012–2019)
- Projektleiter des EUHERA Verbunds East Asian Uses of the European Past (2016–2019)
- KoSprecher des Graduiertenkollegs Ambivalent Enmity (2023–2027)
Ausgewählte Publikationen
Table
The Discovery of Chinese Logic. Leiden and Boston: Brill 2011 (chinesische Übersetzung, Nanjing: Jiangsu wenyi chubanshe, 2020). |
Powerful Arguments: Standards of Validity in Late Imperial China (Co-edited with Martin Hofmann and Ari Daniel Levine). Leiden: Brill, 2020. Darin: “Toward a History of Argumentative Practice in Late Imperial China,” 1–43; “Reasoning in Style: The Formation of ‘Logical Writing’ in Late Qing China”, 565–606. |
“Chinese Dreams of the Middle Ages: Nostalgia, Utopia, Propaganda.” The Medieval History Journal 21, no. 1 (2018): 1–24. |
Uses of the Past Between Europe and East Asia. Special issue of The Historical Journal 64, no. 1 (2021) (Co-edited with Martin Dusinberre). |
New Terms for New Ideas: Western Knowledge and Lexical Change in Late Imperial China (Co-edited with Michael Lackner and Iwo Amelung). Leiden: Brill 2001 (chinesische Übersetzung, Jinan: Shandong huabao chubanshe, 2012). |
“Disciplining the National Essence: Liu Shipei and the Reinvention of Ancient China’s Intellectual History.” In Science and Technology in Modern China, 1880s–1940s, ed. Jing Tsu and Benjamin A. Elman, 67–91. Leiden and Boston: Brill 2014. |
“Framing European Technology in Seventeenth-Century China: Rhetorical Strategies in Jesuit Paratexts.” In Cultures of Knowledge: Technology in Chinese History, ed. Dagmar Schäfer, 209–232. Leiden and Boston: Brill, 2012. |
“Translating the Vocation of Man: Liang Qichao (1873–1929), J. G. Fichte, and the Body Politic in Early Republican China.” In Why Concepts Matter: Translating Political and Social Thought, ed. Martin J. Burke and Melvin Richter, 153–176. Leiden and Boston: Brill, 2012 (chinesische Übersetzung, Jindai Zhongguo yanjiu jikan 7 (2019): 194–221). |
Selbstbehauptungsdiskurse in Asien: China–Japan–Korea (Co-edited with Eun-jeung Lee et al.). München: Iudicium 2003. |
Reading the Signs: Philology, History, Prognostication (Co-edited with Iwo Amelung). Munich: Iudicium 2018. |
KONTAKT
Prof. Dr. Joachim Kurtz
Heidelberg Centre for Transcultural Studies
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
E-Mail: kurtz@hcts.uni-heidelberg.de